Warum wir Marken mehr vertrauen als Regierungen


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In den letzten fünf Jahren hat das Markenvertrauen nicht nur nicht abgenommen, sondern sich sogar gestärkt. Es wächst besonders stark bei lokalen und Nischenmarken, die als authentisch und regional wahrgenommen werden und die Sprache ihrer Kunden sprechen.
Warum sollte man über Marken sprechen? Eine Marke ist viel mehr als ein Name oder ein Logo: Sie beeinflusst Entscheidungen, schafft Vertrauen und ein Gefühl der Zugehörigkeit. Aber kann man heute noch sagen, dass Marken der Kompass der Konsumenten sind?
Inflation, geopolitische Spannungen, neue soziale und ökologische Ängste sowie der Aufstieg neuer Technologien, allen voran generative KI, haben in den letzten Jahren die Wettbewerbslandschaft grundlegend verändert. Auch die Konsumenten sind nicht mehr dieselben: anspruchsvoller, besser informiert und weniger nachsichtig. Angesichts dieser Komplexität ist es für Unternehmen schwieriger geworden, Vertrauen zu erhalten und sinnvolle Beziehungen zu ihren Kunden aufzubauen. Um langfristig relevant und erfolgreich zu sein, ist es unerlässlich zu verstehen, wie starke Bindungen zwischen Marken und Konsumenten heute entstehen. Die Daten unserer Studie „Brand Connection“, die wir in den letzten Wochen in Mailand präsentiert haben, bestätigen dies. Selbst in unsicheren Zeiten bleiben Marken für Konsumenten ein wichtiger Orientierungspunkt – mehr noch als Regierungen und Großkonzerne. In den letzten fünf Jahren hat das Vertrauen in Marken nicht nur nicht abgenommen, sondern sich sogar gestärkt. Es wächst insbesondere zugunsten lokaler und Nischenmarken, die als authentisch und regional wahrgenommen werden und die Sprache ihrer Kunden sprechen. Gleichzeitig wächst der Trend, insbesondere in Märkten wie den USA, China und den Vereinigten Arabischen Emiraten, hin zu großen globalen Marken, die Status, kollektive Identität und Modernität verkörpern können. Für die meisten Konsumenten bleibt die Marke ein Garant für Qualität und ein Kompass bei zukünftigen Kaufentscheidungen : Trotz des unsicheren wirtschaftlichen Umfelds ist die Marke weiterhin ein Entscheidungskriterium, das Kaufentscheidungen leitet. Ihr Wert geht jedoch über ihre praktische Funktion hinaus: Die Marke weckt Träume und spielt eine kulturelle Rolle, indem sie zur Definition gemeinsamer Bilder, Identitäten und Ausdrucksformen beiträgt . Sie ist eine Form der emotionalen und kulturellen Verbindung zwischen Menschen, Werten und Bestrebungen. Relevanz steht daher außer Frage; Loyalität hingegen schon. Markenliebe, die Liebe zur Marke, verschwindet nicht, sondern verändert ihre Form. Fast die Hälfte der Konsumenten fühlt sich keiner Marke verbunden; jeder Dritte gibt an, vielen Marken zu folgen, ohne eine wirklich zu lieben; die Bereitschaft zum Markenwechsel ist hoch. Dies sind Anzeichen dafür, wie sehr die Beziehung zu einer Marke erarbeitet und im Laufe der Zeit immer wieder erneuert werden muss.
Heutzutage entstehen Beziehungen aus einer Mischung aus alltäglichem Nutzen und Emotionen. Von Marken wird erwartet, dass sie das Leben vereinfachen, Qualität gewährleisten und die Übereinstimmung zwischen erklärten Werten und gelebtem Verhalten sicherstellen; gleichzeitig sollen sie unterhalten, Erinnerungen wecken und ein Zugehörigkeitsgefühl schaffen. Die Prioritäten variieren von Land zu Land: In Europa dominieren funktionale und pragmatische Beziehungen; in den Vereinigten Arabischen Emiraten, China und den USA treten emotionale, kulturelle und identitätsbezogene Dimensionen stärker in den Vordergrund.
Wie werden diese Verbindungen also hergestellt?
Nachhaltigkeit ist heute unerlässlich. Umweltaspekte werden erwartet, insbesondere in Europa, während soziale Aspekte als Faktor für Vertrauen und Kundenbindung immer wichtiger werden, vor allem in Asien, den USA und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das Kundenerlebnis ist der entscheidende Faktor. In etablierten Märkten zählen Mitarbeiterkompetenz, Fachwissen und Einfühlungsvermögen; in Schwellenländern entscheiden Schnelligkeit und Erreichbarkeit des Service. Omnichannel ist ebenso wichtig wie die Einführung neuer Technologien, insbesondere in asiatischen Märkten. Doch Personalisierung ist der Schlüssel zum Erfolg: Menschen möchten als Individuen wahrgenommen werden und suchen Marken, die ihre Einzigartigkeit erkennen und ihnen entsprechend gerecht werden.
Im Kern bleibt Verlässlichkeit bestehen. Sie ist der Eckpfeiler und zugleich der empfindlichste Wert; ihr Fehlen enttäuscht am meisten. Sie wächst langsam und kann im Nu verloren gehen. Ein einfacher Fehler, ein gebrochenes Versprechen, eine Reputationskrise oder eine geringfügige Diskrepanz zwischen Worten und Taten können das Vertrauensverhältnis untergraben.
Die Beziehung zwischen Konsumenten und Marken ist nach wie vor intakt, wird aber durch neue Erwartungen neu gestaltet. Vertrauen, Zuverlässigkeit und Authentizität allein genügen nicht mehr. Gefragt sind Kontinuität in der Beziehung, konkrete Nachhaltigkeitsverpflichtungen, einfühlsamer und personalisierter Service sowie nahtlose und echte Omnichannel-Erlebnisse. Nur so kann Markenliebe in dauerhafte Loyalität und Wettbewerbsvorteile in einem zunehmend fragmentierten und selektiven Markt umgewandelt werden.
Andrea Laurenza ist Leiterin des Konsumgüterbereichs bei Deloitte Central Mediterranean.
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