Ich habe dich zum Spaß gekauft (und weil es Sinn macht).


FOTO Ansa
Modeblatt
Die Modebranche steht vor einer entscheidenden Wende: Viele Konsumenten können sich gar nicht mehr erinnern, wann eine Marke sie das letzte Mal emotional berührt hat. Eine Rückkehr zur Kreativität ist nötig.
Zum selben Thema:
In einer Welt voller Klimawandel, digitaler Erschöpfung und einer Krise der zwischenmenschlichen Beziehungen steht die Mode vor einer entscheidenden Neuausrichtung. Was die Zukunft bringt, wird nicht nur von schnelllebigen Trends oder fortschrittlicheren Technologien geprägt sein, sondern von etwas viel Menschlicherem: Emotionen. Aus einer globalen Stimmung der Unsicherheit und Reizüberflutung entsteht ein neues Bedürfnis, angetrieben vom tiefen Wunsch nach authentischen Erlebnissen. Von Mailand bis Melbourne, von den Laufstegen bis zu den Gemeindezentren – Konsumenten fordern mehr als nur Stil. Sie wollen Verbundenheit, Wertschätzung und Freude. Das Fehlen von Freude in der heutigen Konsumlandschaft ist nicht mehr zu übersehen. Viele Käufer können sich nicht einmal mehr erinnern, wann eine Marke sie das letzte Mal emotional berührt hat. Und in dieser Leere erweist sich emotionale Resonanz als die größte Chance der Modebranche. Das ist keine Sentimentalität, sondern Designstrategie.
Eine Rückkehr zu spielerischer Kreativität gewinnt bereits an Bedeutung, nicht als Flucht, sondern als Widerstand gegen die Schwere unserer Zeit. In den Händen talentierter Designer wird Farbe zum Dialog zwischen Produkt und Mensch , Textur beinahe zur Therapie. Design entwickelt sich zu einer grundlegenden Soft Power , einer kulturellen Diplomatie, die dem Bedürfnis nach mehr Leichtigkeit, Freiheit und Wohlstand entspricht. Gleichzeitig überdenken wir unser Verhältnis zur Technologie. Die entscheidende Frage lautet: Fühle ich mich dadurch menschlicher oder unmenschlicher? Technologie muss nicht nur funktional, sondern auch beziehungsstiftend sein, und die fortschrittlichsten Marken ersetzen menschliche Beziehungen nicht durch Automatisierung, sondern nutzen sie, um mehr Zeit für echte menschliche Interaktionen zu haben. Angesichts des zunehmenden Umweltdrucks erleben wir zudem einen Wandel von rein funktionaler Nachhaltigkeit hin zu etwas Tieferem: Langlebigkeit als Denkweise . Von Reparatur zu Restaurierung, von Vintage zu Recycling und Wiederverwendung – die Ethik der Sorgfalt geht über das Produkt selbst hinaus. Sorgfalt wird zu einer Weltanschauung, die die Vergangenheit wertschätzt, die Gegenwart bewahrt und auf eine würdevollere Zukunft hinweist. In dieser emotional geprägten Welt muss Mode mehr leisten als nur Kollektionen zu produzieren: Sie muss Sinn stiften. Das beginnt damit, Konsumenten nicht als Zielgruppe zu betrachten, sondern als Menschen, die sich in einer zunehmend komplexen Gefühlswelt bewegen. Es bedeutet, Erlebnisse zu gestalten, die nicht nur flexibel, sondern auch wohltuend und sogar nährend für die Seele sind . Und es bedeutet, Raum für die Freude am Entdecken, am Selbstausdruck und an der Verbundenheit zu schaffen. Wenn die Welt schwer erscheint, ist Leichtigkeit kein Luxus, sondern ein Rettungsanker.
Lisa White ist Direktorin für strategische Prognosen und kreative Leitung bei WGSN.
Dieser Text ist inspiriert von der Präsentation der neuesten Ausgabe von Next Design Perspectives, der von Altagamma initiierten Veranstaltung zu Zukunftstrends in Design und Kreativität, die jährlich im Rahmen der Triennale in Mailand stattfindet. Die Dimension des Vergnügens, die in den letzten Jahren scheinbar aus der Unternehmensagenda verschwunden ist, wird von der Mehrheit unserer Befragten als wesentlicher Kaufanreiz, aber auch als entscheidender Faktor für die Produktauswahl angesehen: Immer mehr Menschen kaufen aus emotionalen Gründen. So glauben 86 Prozent der Konsumenten weltweit – ermittelt durch den Vergleich verschiedener Forschungsquellen –, dass jeder Kauf mindestens einen Impuls als Motivation benötigt, während 49 Prozent angeben, Marken zu kaufen, die Freude und positive Gefühle der Unbeschwertheit hervorrufen.
Mehr zu diesen Themen:
ilmanifesto



