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Toleranz, Teilhabe, Tatendrang: Wie wichtig offene Räume für Jugend und Gesellschaft sind

Toleranz, Teilhabe, Tatendrang: Wie wichtig offene Räume für Jugend und Gesellschaft sind

Demokratische Teilhabe und Chancengleichheit – zwei Grundpfeiler unserer Demokratie, die nicht nur an der Wahlurne verteidigt werden, sondern vor allem im alltäglichen Handeln und im eigenen Lebensumfeld.

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Junge Menschen sind hier jedoch oft nicht im Blick der Politik, obwohl sich gerade im Jugendalter die politische Gesinnung ausformt. Ambitionierte Projekte der Jugendarbeit zeigen, wie jugendliches Mitwirken dennoch funktionieren kann und warum Einrichtungen des Austauschs und der Begegnung nicht nur für junge Menschen wichtig sind, sondern auch für unsere Gesellschaft.

Die Situation vieler Jugendliche in Deutschland ist prekär. Laut Statistischem Bundesamt gehen 19 Prozent der stationären Krankenhausaufenthalte der 10- bis 17-Jährigen im Jahr 2021 auf psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen zurück – ein Anstieg von 46 Prozent im Vergleich zu 2011.

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Aus der aktuellen Shell Jugendstudie geht hervor, dass knapp 70 Prozent der Befragten Angst vor wirtschaftlichem Abstieg und Armut haben, während 24 Prozent der Kinder und Jugendlichen bereits von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht oder betroffen sind.

Außer breiteren Freizeitangeboten und sozialem Wohnungsbau rückt für Jugendliche die Notwendigkeit, Rechtsextremismus zu bekämpfen und offene Treffpunkte zu schaffen, zunehmend in den Fokus. Im Projekt „Jugend entscheidet“ der Hertie-Stiftung erarbeiten junge Menschen im Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Verwaltung Ideen für den eigenen Lebensort.

Die Denkwerkstatt „Jugendgerechte Wohnungspolitik“ ist Teil der „Jugendstrategie der Bundesregierung“ zur Beteiligung junger Menschen an politischen Entscheidungen. Sie stellt heraus: Treffpunkte und offene Räume müssen vor allem ohne Konsumzwang auskommen. Heißt: Es sollte auch Orte geben, an denen junge Menschen Zeit verbringen können, ohne wie in Cafés oder Kinos Geld ausgeben zu müssen. Nur mit „unkommerziellen Freiräumen“ kann man die Teilhabe-Option aller gewährleisten.

„Es geht um die Erschließung konsumfreier, offener Räume für junge Menschen, auch abseits von Betreuung und Anleitung“, sagt Stephanie Haury, Projektleiterin im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Solche Orte könnten ihrer Ansicht nach leerstehende Gebäude sein, die von den Jugendlichen in Selbstorganisation gestaltet werden.

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Seit 2015 begleitet Haury das Projekt „Urbane Liga“, ein Netzwerk junger Stadtmacherinnen und Stadtmacher, bei der Gestaltung von Räumen in Absprache mit Städten und Kommunen. Sie stellt fest: „Wir erleben eine Transformation der Innenstädte und der Stadtentwicklung. Die Nutzung von Räumen sollte in Zusammenarbeit mit der Stadtgesellschaft und der Jugend neu betrachtet und organisiert werden.“

Einer der positiven Aspekte sei hierbei, dass demokratische Teilhabe für junge Leute aktiv erlebbar würde. „Es geht nicht nur um die Beteiligung junger Menschen, sondern vor allem darum, dass diese etwas anstoßen und verantwortungsvoll, selbstorganisiert gestalten.“

Der Jugendverein „FACK e.V.“ ist Teil der Urbanen Liga und möchte das Abwandern junger Leute aus der Region Altenburg in Thüringen verhindern. Seit 2022 findet man hier in einem leerstehenden Gebäude, das von der Kommune zur Verfügung gestellt wurde, unter anderem einen Clubraum, Werkstätten und ein Atelier. Von der Jugend für die Jugend.

Jugendzentren oder ähnliche Treffpunkte sind wichtig für Kinder und Jugendliche. Alle haben die gleichen Möglichkeiten, auch Kinder aus einkommensschwachen Familien.

Jugendzentren oder ähnliche Treffpunkte sind wichtig für Kinder und Jugendliche. Alle haben die gleichen Möglichkeiten, auch Kinder aus einkommensschwachen Familien.

Quelle: imago images/MASKOT

Neben Projekten, in denen Eigeninitiative und Selbstorganisation bei der Gestaltung des Lebensraums im Fokus stehen, bedarf es auch Orte, die mehr sozialpädagogische Betreuung und Hilfe bieten. Im Bereich der Jugendarbeit sind es in Deutschland vor allem freie Träger, die entsprechende Einrichtungen betreiben, etwa die Caritas oder der Paritätische Gesamtverband.

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In der Jugendfreizeiteinrichtungen (JFE) der Caritas in Berlin-Lichtenberg finden sich laut eigenen Angaben „Kinder und Jugendliche (…) aus sozioökonomisch instabilen Familienverhältnissen". Vor allem Kinder und Jugendliche aus Armutsverhältnissen und mit Migrationsgeschichte. Auffällige Verhaltensmuster, ein hohes Bedürfnis nach Fürsorge sowie traumatisierende Fluchterfahrungen seien keine Seltenheit.

Außer einer offenen Freizeitgestaltung lernen die jungen Menschen hier vor allem „soziale Kompetenzen, Toleranz, gewaltfreie Konfliktlösung und Teamfähigkeit“, so die Caritas. Ein offener Begegnungsraum sei wichtig, denn: „Die Begegnung mit anderen trägt zur Verständigung zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund und Gleichaltrigen mit Fluchterfahrungen bei.“ Da viele der Kinder und Jugendlichen in Armut aufwachsen und damit oftmals technische Voraussetzungen zu Hause fehlten, helfen die Mitarbeitenden der Caritas außerdem bei Schularbeiten, Prüfungen oder den Bewerbungsunterlagen. Das sei ein wichtiger Beitrag zur Chancengleichheit.

Christian Spatscheck, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit

Das Paritätische Jugendwerk Niedersachsen (PJW) betont die Wichtigkeit von durch Jugendeinrichtungen vorangetriebene demokratische Teilhabe - gerade für junge Menschen mit geringen gesellschaftlichen Privilegien. „Angebote der politischen Bildung (wirken) gegen Gefährdungen unserer Gesellschaft, zum Beispiel durch Ideologien der Ungleichheit und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.“ Also unter anderem Vorurteile und Diskriminierungen gegen Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe in unserer Gesellschaft: Homosexuelle, unter Armut Leidende, Behinderte, Obdachlose oder Zugehörige unterschiedlichster Religionen und Weltanschauungen.

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In Deutschland wird Kinder- und Jugendarbeit nach Sozialgesetzbuch aus dem Haushalt der Kommunen, der Länder und des Bundes finanziert. Die größte finanzielle Last tragen die Kommunen. Diese verzeichneten allein im ersten Halbjahr 2024 ein Defizit von 17,3 Milliarden Euro. Im Gesamtjahr 2023 waren es noch 6,8 Milliarden Euro.

Mit höheren Zuschüssen seitens des Bundes sei aufgrund der Schuldenbremse nicht zu rechnen, heißt es aus der Fachkonferenz Kommunalfinanzen, in der Vertretungen der Kommunen Ausgleichszahlungen für die zuletzt gestiegenen Kosten forderten. Als besonderes Problemfeld der Finanzierung wurde unter anderem die Kinder- und Jugendhilfe genannt.

Der Haushalt für das Jahr 2025 gibt keinen Anlass für Hoffnung auf höhere Zuschüsse für Jugendarbeit. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat in diesem Jahr ein Budget von rund 14,5 Milliarden Euro, wofür 580 Millionen Euro dezidiert für Kinder- und Jugendpolitik vorgesehen sind, etwa 20 Millionen Euro weniger als im Haushalt 2024.

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Die Einrichtungen des PJW und der Caritas Berlin sind schon lange von Sparmaßnahmen betroffen. Die Streichung von Projekten und zu wenige Fachkräfte sind die Folge. Da Kommunen zuallererst gesetzlichen Verpflichtungen, wie dem Ausbau von Kita-Plätzen oder des Ganztagsangebotes nachkommen müssen, fehle es am Ende an Geld bei der wichtigen Jugendarbeit, so das PJW.

Beide Träger positionieren sich zudem deutlich gegen die Sparpolitik. „Unabhängig der Kassenlage der Kommunen muss Jugendarbeit finanziell und personell so ausgestattet sein, dass sie (…) den wechselnden gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht werden kann“, fordert das PJW.

Bereits im vergangenen Jahr wurden Stimmen gegen die Sparvorhaben des Bundes im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit laut. Christian Spatscheck, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit, sagte im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur (dpa): „Die Kommunen fahren ihre Jugendarbeit gerade massiv runter. Das ist fatal!“

Ebenso richtet Spatscheck den Blick auf mögliche Auswirkungen auf die Demokratiebildung. „Dort, wo Jugendzentren schließen, gibt es rechte Gruppierungen, die das Feld besetzen.“ So sieht es auch der Caritasverband Berlin: Der Erhalt offener Räume und Angebote für junge Menschen sei entscheidend, um dem Rechtspopulismus und einem generellen Auseinanderdriften der Gesellschaft entgegenwirken zu können.

rnd

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