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Patrice Lumumba: Wer hat ihn ermordet?

Patrice Lumumba: Wer hat ihn ermordet?

Seit über 60 Jahren schon treiben Juliana Lumumba diese Fragen um: Wer hat ihren Vater ermordet? Wie haben die Amerikaner bei der Ermordung geholfen? Was haben die Vereinten Nationen gemacht: Haben sie tatenlos zugeschaut, obwohl er unter ihrem Schutz stand? Es sind unbequeme, politische Fragen. Und Juliana will nicht ruhen, bevor sie Antworten bekommt.

"Du kannst nicht die Tochter von Patrice Lumumba sein, ohne dass das dein Leben bestimmt", sagt sie. Ihr Blick ist gefasst. Sie schaut nicht in die Kamera, sondern zur Seite, aus dem Fenster aus ihrem Haus in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, das Kinn ist leicht angehoben.

Ein Saal mit Menschen, am Pult ein Mann, der eine Rede hält.
Juni 1960: Patrice Lumumba (l.) kritisiert in seiner Unabhängigkeitsrede die brutalen Verbrechen des belgischen Kolonialregimes - im Beisein des belgischen Königs Baudouin (im weißen Anzug)Bild: Belga/IMAGO

Am 17. Juni wird in Brüssel erneut der Mord an ihrem Vater im Jahr 1961 verhandelt. Dass Belgien mitverantwortlich ist, ist klar. 2001 stellte eine parlamentarische Ermittlung fest, dass der damalige belgische König Baudouin über die Mordpläne Bescheid wusste und nichts unternahm, um diese zu stoppen. Doch das ist nicht alles. Julianas Bruder François, der Kläger, wirft dem belgischen Staat nicht nur Kriegsverbrechen und Folter vor, sondern eben auch, Teil einer Verschwörung gewesen zu sein, die auf die politische und physische Beseitigung seines Vaters abzielte.

Lumumba kämpfte für die Unabhängigkeit des Kongos

Patrice Lumumba befreite den Kongo am 30. Juni 1960 aus belgischer Kolonialherrschaft und wurde der erste Premierminister des Landes. Er versprach Demokratie, Wohlstand und das Ende der Ausbeutung kongolesischer Rohstoffe durch ausländische Mächte. Doch dazu sollte es nicht kommen.

Denn dem Westen - insbesondere Belgien und den USA - gefielen Patrice Lumumbas Pläne Kongos Rohstoffe zu verstaatlichen nicht. Und schon gar nicht seine Nähe zur Sowjetunion, mitten im kalten Krieg.

Am 17. Januar 1961, ein halbes Jahr nachdem Lumumba zum ersten Premierminister des freien Kongos gewählt wurde, brachten kongolesische Separatisten ihn mit belgischem und amerikanischem Segen in die befeindete Provinz Katanga. Dort wurden er und zwei seiner Vertrauten unter Anweisung von belgischen Offizieren erschossen. Die Details kamen erst durch Recherchen wie die des belgischen Soziologen Ludo De Witte "The Assassination of Lumumba" ans Licht.

Fotograf Horst Faas - Patrice Lumumba
Patrice Lumumba wurde an seine politische Feinde ausgeliefert und in der Provinz Katanga ermordetBild: AP

Ein weiterer belgischer Offizier, Gérard Soete, zersägte die Leichen und löste sie in Säure auf. Zwei Zähne waren alles, was von Lumumba übrig blieb. Soete behielt sie als Trophäe. Seine Tochter Juliana erfuhr davon im Fernsehen, in einem ARD-Beitrag aus dem Jahr 2000 - in dem Soete selbst von den Details berichtete und die Zähne in die Kamera hielt. Eine grauenhafte Erinnerung, die Juliana bis heute wütend macht.

"Wie würdest du dich fühlen, wenn man dir sagt, dass dein Vater ermordet, begraben, ausgegraben und in Stücke geschnitten wurde, und man auch noch Teile seines Körpers mitgenommen hat?", fragt sie. "Für viele war er der erste Premierminister des Kongo, ein Nationalheld. Für mich ist er mein Vater."

Juliana Lumumba kämpft für die Wahrheit

Jahre später schrieb Juliana dem belgischen König einen Brief und verlangte einen der Zähne zurück. Wo der zweite ist, weiß keiner. Soete hatte behauptet, er habe die Zähne in die Nordsee geworfen. Kurz danach ist er gestorben. Später aber zeigte seine Tochter den goldenen Zahn einem Journalisten. Ludo De Witte verklagte sie daraufhin, und die belgische Behörden nahmen den Zahn an sich.

Belgien Brüssel 2022 | Übergabe von Patrice Lumumbas Zahn an seine Kinder
Im Jahr 2022 gibt Belgien Lumumbas Kindern den Zahn ihres Vaters zurückBild: Nicolas Maeterlinck/Belga/AFP

2022 gab der damalige belgische Premierminister Alexander de Croo den Zahn in einer Zeremonie in Brüssel an Lumumbas Kinder zurück und entschuldigte sich – im Gegensatz zu König Philippe, ein direkter Nachfahre von König Baudouin, der sich zu einer Entschuldigung offenbar nicht durchringen konnte. Es blieb bei seinem Ausdruck des "tiefsten Bedauerns” für die Gewalt, die dem Kongo unter belgischer Herrschaft angetan wurde.

Mit der Entschuldigung ist es für Juliana aber nicht getan. "Es geht nicht um Entschuldigungen. Es geht um die Wahrheit, um la verité (französisch für Wahrheit, Anm. d. Red.)", sagt sie.

Kinder aufgewachsen im Exil

Als ihr Vater ermordet wurde, war Juliana gerade mal fünf Jahre alt. Sie erfuhr davon im ägyptischen Exil. Ein paar Monate vor Lumumbas Ermordung waren sie und ihre Geschwister aus dem Haus im Kongo, wo ihr Vater bereits unter Hausarrest stand, geschmuggelt und mit falschen Pässen nach Kairo gebracht worden. Patrice Lumumba wusste, dass er sterben würde, sagt Juliana. Das habe er auch in seinem letzten Brief an seine Frau geschrieben.

In Kairo wuchsen Lumumbas Kinder bei Mohamed Abdel Aziz Ishak, einem befreundeten Diplomaten, seiner Frau und deren Kindern auf. Juliana nennt sie Papa Abdel Aziz und Mama Zizi. Sie spricht von einer schönen Kindheit: "Wir sind mit viel Liebe und Empathie aufgewachsen."

DRK Patrice Lumumba Tshumbe
Erst 2022, als sein Zahn dank dem Engagement seiner Kinder zurück in seine Heimat kommt, erhält Lumumba ein BegräbnisBild: Junior Kannah/AFP

Trotzdem konnten die Lumumba-Kinder nicht aus ihrer Haut raus. "Wir sind eine politische Familie. Wir sind aus politischen Gründen nach Ägypten gekommen, zu Gast bei Präsident Nasser. Politik ist der Kern unseres Lebens, ob wir es wollen oder nicht." Kein Wunder, dass auch die Kinder in die Politik gegangen sind. Juliana hielt verschiedene Ministerposten inne, der Bruder François ist Parteichef der kongolesischen Nationalbewegung - die Partei, die sein Vater gegründet hat.

Juliana war immer klar, dass die Ermordung ihres Vaters politisch war, sogar, als sie noch ein Kind war. Sie erfuhr es in Kairo von Mama Zizi, die es zunächst dem ältesten Sohn François und dann den anderen Kindern erzählte. Mama Zizi und Papa Abdel Aziz waren auch diejenigen, die den Lumumba-Kindern ihre eigene Geschichte beibrachten.

Die Nachricht von Lumumbas Tod 1961 verbreitete sich schnell in Kairo. "Sie setzten die Bibliothek der amerikanischen Universität in Brand und plünderten die belgische Botschaft. Auf den Straßen riefen die Leute 'Lumumba, Lumumba'", erinnert sich Juliana.

Schuld, Anerkennung und koloniale Kontinuitäten

Erst 1994, als die Mobutu-Diktatur kurz vor dem Aus stand, ging Juliana nach Jahren im Exil zurück in den Kongo. Der Vater hatte es den Kindern aufgetragen: "Er sagte uns, egal, was passiert, ihr müsst zurück nach Hause kommen. Als es für uns wieder sicher war, sind wir zurückgegangen, nach Hause, wo wir hingehören."

Juliana Lumumba, Tochter von Patrice Lumumba
Juliana Lumumba, Tochter von Patrice Lumumba in KinshasaBild: privat

Heute ist Juliana in der kongolesischen Politik weniger aktiv. Über die aktuelle Lage im Kongo, den Konflikt zwischen der kongolesischen Armee und der Rebellenmiliz M23, oder die anhaltende Rohstoffausbeutung durch den Westen, China, Ruanda und andere ausländische Mächte möchte sie nicht sprechen. Ebenso wenig über den Prozess in Brüssel, der ja noch läuft.

Nur so viel: "Die letzten zehn Jahre ist nichts passiert. Elf von zwölf Angeklagten sind gestorben." Die Untätigkeit der belgischen Justiz spricht für sich, findet Juliana. Große Hoffnungen, dass endlich jemand für den Mord an ihrem Vater zur Verantwortung gezogen wird, hat sie nicht. Der letzte lebende Angeklagte ist 92 Jahre alt. Es handelt sich um keinen geringeren als Étienne Davignon, ein belgischer Geschäftsmann und Politiker sowie ehemaliger Vizepräsident der Europäischen Kommission.

Für Juliana ist dies eine schwierige und auch frustrierende Erfahrung: "Keiner wurde zur Verantwortung gezogen. Kein Belgier, kein Europäer, kein Kongolese. Kein Weißer, kein Schwarzer. Alle sind sich einig, dass es einen Mord gegeben hat. Aber keiner will diesen Mord begangen haben."

Am 2. Juli 2025 wäre Patrice Lumumba 100 Jahre alt geworden.

dw

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